Gedankenbilder.
Das Finale
Meine Kindheit.
Geboren sieben Jahre nach Kriegsende in einem kleinen
thüringischen Dorf. Die ersten Besatzer waren Amerikaner, das war
am 12. April, abgelöst von den Russen. Und sie blieben auch, sogar
in Kasernen ganz in der Nähe. Bis nach der Wende. Meine Mutter hat
nichts Schlechtes mit ihnen erlebt, auch wenn alle anfangs Angst
besaßen.
Dafür Vater, denn die Umsiedler aus Bessarabien, die seit
Kriegsende dort lebten, sollten zurück in die Sowjetunion, die sie
1940 verlassen hatten. Aber dann wurden die Einbürgerungsurkunden
der Deutschen doch anerkannt. Mutter stammte aus dem Dorf. Das
Leben meiner Eltern war arbeitsreich, Landwirte, so wie meine
gesamten Vorfahren. Ein hartes und nie begütertes Leben.
Als ich fünf wurde, zogen wir ein paar Kilometer weiter an den
Nordrand des Thüringer Waldes. Eine Mietwohnung und bis ich zwölf
war, musste ich über den Hof zur Toilette, Plumpsklo. Treppe
runter, 20 Meter über den großen Hof und oben schaute Mutter immer
Mal aus dem Fenster, denn alleine dort im Dunkeln … beängstigend.
Bei der Oma im Dorf, wo ich immer die Ferien verbrachte, gab es
noch lange nur das, aber da nur sie dort wohnten, wars schon
angenehmer. Das Toilettenpapier bestand Jahre aus
zurechtgeschnittenen alten Zeitungen. Die Zeitungen waren da also
auch schon „für den Ar***“. Und so war sogar der Nachttopf
noch wichtig, vor allem für die Kleinen oder Alten und Kranken.
Ein WC im Warmen war, so gesehen, richtiger Luxus. Ein heizbares
Schlafzimmer genauso – und die Winter waren damals noch richtig
frostig. Federbetten und heiße Steine oder die Wärmflasche im Bett
– ich kenn's noch. Für mich zählt Heizung und Wärme wie ein WC im
Haus daher noch heute zu den wirklich wichtigen Dingen.
Gekocht hat die Oma, wo ich immer meine Ferien verbrachte, noch
ewig auf dem Herd und auch bei Sommerhitze musste so der Ofen
geschürt werden.
Essen? Bis es Fleisch gab, hieß das viel Arbeit. Tiere füttern,
Stall ausmisten, aufs Feld, in der kalten Jahreszeit wurde
geschlachtet und fürs kommende Jahr vorgesorgt, geräuchert,
getrocknet, eingeweckt. Und wie man Rahm oder Butter macht, weiß
ich auch noch.
Der natürliche Jahreslauf steckt noch heut in mir drin, so wie
eine völlig andere Verbundenheit zur Natur und den grundlegenden
Dingen. Und so war auch die Jagd später etwas anderes als nur
Erlegen, „Totschießen“ oder gar „Prestige“, so wie es ja jetzt
ist. Es war Beute, wirklich Beute und eine natürliche Sache, das
Fleisch köstlich, denn einiges verwertete man selber. In der DDR
und kurz drauf, aus dieser Sichtweise heraus, hatte Jagen daher
auch noch einen anderen Stellenwert.
Gekaufte Hühnereier? Für mich noch heute ein Unding. Genau wie
eigenes Gemüse, Kartoffeln anzubauen für mich noch normal ist und
ein Bedürfnis. Erst wenn die Ernte recht gut war, bin ich
zufrieden und innerlich ruhig.
Betrifft auch Holz und Kohle im Schuppen, Öfen zum Heizen. Zwei
Räume, die heizbar waren, Küche und Stube, mehr nicht. So kenne
ich's noch, bis dann zunächst die „Forster-Heizung“ und später die
Ölheizung überall Wärme brachte. Luxus.
Das eigene Dach über dem Kopf, der eigene Ofen, das eigene Stück
Land, der eigene Ertrag. Grundlagen für Existenz. Und das Leben
meiner Vorfahren hat gezeigt, dass man keinem Staat, keinem
„System“ wirklich vertrauen kann. Aber im Osten, damals und dort
war es „für den kleinen Mann“ gut und die Menschen menschlich. Das
Beste, was sie je hatten, sagten sie.
Aktion und Reaktion - eine natürliche Sache und es gab Regeln. War
einer frech, dreist, rücksichtslos, hagelte es auch mal Verbote,
Strafen, sogar eine Ohrfeige war möglich, falls man's arg überzog.
Und von wegen „ich und allein“, die Familie war wichtig, der
Freund, der gute Bekannte genauso.
Und so gingen wir auch als Kinder mit aufs Feld, Kartoffeln
ernten, Getreide, oder hockten auf kleinen Stühlchen im Hof der
Oma und knipsten die Schoten von den Futtererbsen-Bergen. Das war
für die echt leckere Gemüsesuppe, das Grüne fürs Vieh.
Kartoffelkrautfeuer und darin Kartoffeln backen? Herrlich, und es
zu verbrennen normal. Dazu eine Knackwurst aus Eigenschlachtung,
Brot und Tee oder auch mal eine Limo. Der Herbst war mal nass, mal
war er trocken, auch ganz normal. Die Erwachsenen hatten ihre
Arbeit, wir Kinder unsere Aufgaben und eine Menge Spaß,
untereinander, miteinander. Alles gemeinsam. Kühe gehütet,
freiwillig. In den Ställen getobt – heimlich. Kirschen gemopst –
auf den Plantagen. Kornäpfel, aber die gabs dort „frei“ an den
Feldrändern, genau wie Zwetschgen, Mirabellen. Am Abend auf der
Dorfstraße Fangen gespielt, mit Opas altem Fahrrad darauf
heruntergebrettert – und auf die Nase gefallen. Ohne Helm und ohne
schwere Unfälle. Im Regen nach dem Gewitter auf der Straße
herumgesprungen – alle Kinder.
„Wer nicht zufrieden ist mit dem, was er hat, der wäre auch
nicht zufrieden mit dem, was er haben möchte.“ (Berthold
Auerbach)
Dekadenz ist die Überfeinerung der Sitten und geht einher mit
einer Abgehobenheit, die schon an Irrsinn grenzt. Erinnerungen -
so wichtig. Vor Jahren kam ich in die Region zurück, zu denen sie
gehören, zu einer Zeit, wo Leben noch echt, weil bescheiden,
genügsam und normal war. Danach wurde es verlogen und
„Geradlinigkeit“ verlor immer mehr an Bedeutung. Ersetzt durch
Arroganz, hochmütiges Gehabe, narzisstisches und egoistisches
Anspruchsdenken. Je besser es dem Menschen geht, um so mehr hält
es allem Anschein nach Einzug. Und das Leben verliert rasch an
Qualität.
Paradox, oder?
Das Finale.
„Auf nichts blicken wir hochmütiger herab als auf das, was wir
nicht verstehen“ (Theodor Herzl)
Wo Dünkel über den Augen liegt, kann kein Licht hinein, sagt ein
altes Sprichwort. Fatal, denn dann wird's finster, dunkle Nacht,
auch geistig. Und Dummheit schadet zuallererst dem, der's ist.
„Nicht soll dich das Glück zu Hochmut verleiten, noch das
Unglück dich zu seinem Sklaven machen. Nein, wie das Gold im
Feuer, bleibe, der du bist und rette dir dein eigenes Selbst.“
(Euripides)
Von ihm stammt auch: „Aus der Klugheit erwachsen drei Früchte:
wohl denken, wohl reden, recht handeln“.
Schön gesagt und das vor fast 2.500 Jahren.
Der Mensch ist also nicht klüger geworden und wird’s wohl auch
nicht werden.
Stevie Wonder: „Feeding Off The Love Of The Land“
Bis bald.
See you soon
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